Pianist Nikolai Gangnus spielt Werke von Skrjabin bei der Deutsch-Russischen Kulturgesellschaft Baden-Baden

Zu einem außergewöhnlichen musikalischen Leckerbissen hatte die Deutsch-Russische Kulturgesellschaft Baden-Baden ins Parkhotel Atlantic eingeladen. Anlässlich des 150. Geburtstags des Komponisten und Pianisten Alexander Skrjabin spielte der bekannte Konzertpianist Nikolai Gangnus ausschließlich Werke des Komponisten, der von sich selbst behauptete: „Ich bin Gott“. 

Deutsch-Russische Kulturgesellschaft e.V

Nikolai Gangnus erwies sich nicht nur als meisterhafter Interpret der Werke Skrjabins, sondern auch als charmanter Moderator des Konzerts, indem er dem Publikum mit interessanten Geschichten einen Einblick in das Leben und musikalische Schaffen des russischen Komponisten gab. Die Auswahl der Etüden, Präludien und Sonaten spiegelte die Entwicklung Skrjabins von seinen ersten Kompositionen als Fünfjähriger bis zum Alter von 43 Jahren wider, als er an den Folgen einer Blutvergiftung starb. 
Bereits in der schwermütig-melancholischen Etüde op. 2/1 zeigt sich die labile Psyche des Komponisten, für den das, was gestern neu war, morgen bereits wieder alt war. Der vielfach ausgezeichnete Pianist Gangnus verstand es, den kompositorischen Ansprüchen dieses frühen Werkes mit unglaublicher Virtuosität und technisch sauberer Fingerarbeit gerecht zu werden. „Skrjabin ist nichts für Anfänger des Klavierspiels“, erklärte er zurecht und bezog sich damit auf den hohen spieltechnischen Schwierigkeitsgrad der Etüde. Der musikalisch hochbegabte Komponist, dessen Mutter starb, als er ein Jahr alt war, schloss als 19-Jähriger das Moskauer Konservatorium mit einer Goldmedaille ab und begann eine Karriere als Pianist und Komponist – gefördert von dem Musikverleger Mitrofan Beljajeff, der ihm eine Konzertreise durch Europa ermöglichte. 
Nachdem zwei Finger seiner rechten Hand gebrochen waren, konnte Skrijabin eine Zeitlang nur mit der linken Hand Klavier spielen und komponierte deshalb das Präludium für die linke Hand op. 9. Dieses Werk spielte Gangnus in einer unverwechselbaren Expressivität, so dass man beim bloßen Zuhören meinen könnte, die schwarz-weißen Tasten würden von zwei Händen bespielt statt von einer.
Ein weiteres außergewöhnliches Werk stellt op. 11 dar, denn die 24 Präludien sind in allen Dur- und Molltonarten geschrieben und im Quintenzirkel aufsteigend angeordnet, ebenso wie die 24 Préludes op. 28 von Chopin, die in dieser Hinsicht ein Vorbild für Skrjabin waren. Gangnus präsentierte seinem Publikum sechs ausgewählte Präludien und erzeugte damit eine weitere Klangkaskade, gefolgt von den fünf Präludien op. 16, die verschiedene Gemütszustände des Komponisten widerspiegeln. Sein hervorragendes pianistisches Können bewies Gangnus außerdem bei der Interpretation der Etüde in dis-moll op. 8/12, die viele technische Herausforderungen beinhaltet, darunter tückische Strecken mit unzähligen Sprüngen in der linken Hand, übergroßen Intervallen und sich wiederholende Akkordschläge. Gangnus meisterte all diese Herausforderungen mit glänzender Virtuosität und Ausdrucksstärke, ebenso wie die beiden Poèmes op. 32, die ebenfalls aus der mittleren Schaffensperiode Skrjabins stammen. 
Dass Skrjabin auch beeindruckende Orchesterwerke komponiert hatte, zeigte eine Tonaufnahme eines der bekanntesten Werke des Komponisten: Die sinfonische Dichtung „Le Poème de l’Extase“ op. 54. So erhielt das Publikum einen guten Höreindruck dieses Werks, das die traditionelle Besetzung des Sinfonieorchesters erheblich übersteigt. 
Für seine späteren Werke genügte Skrjabin die bisherige Musik als Ausdruck seiner philosophischen Ideen nicht mehr. Er war Farb-Synästhet, d. h. musikalische Klänge waren für ihn ähnlich wie bei Nikolai Rimski-Korsakow mit spezifischen Farbwahrnehmungen verknüpft. Er folgte einem harmonischen System, das nicht mehr auf dur-moll-tonalen Bindungen basiert, sondern auf der Verwendung eines so genannten „mystischen Akkords“, der auch als „Prometheus-Akkords“ bezeichnet wird. Skrjabin verstand sich als moderner Prometheus, er wollte die Welt retten, brach mit allen Traditionen seiner Zeit und entwickelte eine völlig neuartige Tonsprache. 
Zuletzt plante er den Bau eines halbkugelförmigen Kunst-Tempels in Indien, in dem – begleitet von Farbklavier und Duftorgel – sein Orchester-Mysterium aufgeführt werden soll: Ein Gesamtkunstwerk aller Sinne. Die Partitur blieb allerdings unvollendet, da Skrjabin vor Vollendung des Werks starb.
Als krönenden Abschluss dieses beeindruckenden Konzerts spielte Gangnus seine Lieblingssonate, die Sonate Nr. 4 op. 30 – die letzte zweisätzige Sonate Skrjabins, alle weiteren bestanden lediglich aus einem Satz. Mit dem spieltechnisch hoch anspruchsvollen Werk löste Gangnus beim Publikum einen lang anhaltenden Applaus aus, so dass dieser als Zugabe nochmal die Etüde op. 2 interpretierte. 

Natalie Dechant